Offizierlaufbahn: Lebensabschnitt oder Lebensaufgabe?

Sichtweisen deutscher und britischer Offizieranwärter auf ihre Ausbildung und Zukunft im Militär

Im Gegensatz zum deutschen Führungsnachwuchs an der Offizierschule des Heeres (OSH) besitzt der Großteil der britischen Offizieranwärter bereits zu Beginn seiner Ausbildung an der Royal Military Academy Sandhurst (RMAS) einen Studienabschluss. Während fast alle deutschen Offizieranwärter sich für 13 Jahre verpflichten, um die Chance wahrnehmen zu können, bei der Bundeswehr auch einen akademischen Abschluss zu erwerben, verlassen viele Briten die Armee bereits nach vier Jahren Dienstzeit. In einer 2014 durchgeführten Befragung mit 755 Offizieranwärtern an der OSH und der RMAS hatten die angehenden deutschen und britischen Offiziere die Möglichkeit, die Vor- und Nachteile ihrer Ausbildung zu diskutieren. Die Ergebnisse zeigen auf, dass die jungen Männer und Frauen weitestgehend zufrieden waren mit dem bestehenden Ausbildungssystem in ihrem Land obwohl sie die eine oder andere Veränderung begrüßen würden.

 

Beruf oder Berufung?

Die Mehrheit der britischen Offizieranwärter sah die Offizierlaufbahn im Gegensatz zu den zukünftigen deutschen Offizieren mehr als einen Schritt im Leben (step in life), als eine Lebensaufgabe (profession for life). Ein wenig mehr als die Hälfte (52 Prozent) aller befragten deutschen Soldaten gab 2014 an, dass es sich bei der Offizierlaufbahn für sie nicht vorrangig um einen Job, eine Alternative zu einem anderen Beruf oder einen Teil eines größeren Plans handelte, sondern um eine Berufung. Bei den Briten war dies genau umgekehrt: Der überwiegende Teil der Soldaten in Sandhurst empfand die Zeit bei der Armee als einen Lebensabschnitt, um Führungserfahrungen zu sammeln und Außergewöhnliches erleben zu können. Nur wenige Briten planten zu Beginn ihrer Ausbildung eine langjährige Karriere in der Britischen Armee: „Die meisten werden die Armee nach vier oder spätestens sechs Jahren verlassen, um dann einer Karriere im öffentlichen Sektor, dem Finanzwesen oder der Politik nachzugehen. Andere werden spätestens nach acht Jahren gehen – als Major. Die Laufbahn der Stabsoffiziere ist sehr wettbewerbsorientiert und bürokratisch – das spricht die meisten von uns nicht an,“ erklärte einer der Offizieranwärter in Sandhurst.

 

13 oder 4 Jahre Dienstzeit?

Im Jahr 2014 besaßen 88 Prozent der britischen Offizieranwärter zu Beginn ihrer Ausbildung bei der britischen Armee bereits einen Bachelorabschluss. Dieser ist zwar erwünscht, allerdings keine Voraussetzung, um in Großbritannien die Laufbahn der Offiziere zu durchlaufen. Im Gegensatz zu Deutschland, wo viele Arbeitgeber den Bachelor noch nicht als berufsqualifizierenden Abschluss akzeptieren, planten nur sehr wenige Briten, noch einen Master zu absolvieren. Die Auswertung der Umfrageergebnisse zeigt, dass ein Großteil der britischen Offizieranwärter die Ausbildung in Sandhurst und die kurze Dienstzeit in der Armee entweder als eine Fortsetzung ihrer Ausbildung nach der Universität, einen unmittelbaren Entwicklungsschritt ins zivile Berufsleben oder als einen strategischen Schachzug empfand, um somit Teil der einflussreichen Gemeinschaft ehemaliger Offiziere in der britischen Gesellschaft werden zu können.

Alle britischen Offizieranwärter befürworteten die in Großbritannien bestehende Option, nur vier Jahre Dienst leisten zu können. „So kehren wir schneller ins zivile Berufsleben zurück und werden dort zu Botschaftern der Armee: Das hat eine stärkende Wirkung für den Zusammenhalt zwischen Armee und Gesellschaft“, behauptete einer der britischen Soldaten und ergänzte: „Sollte ich herausfinden, dass dies mein Traumberuf ist, verlängere ich meine Dienstzeit – und wenn es mir nicht gefallen sollte, muss ich es nicht so lange durchhalten.“

Einige der angehenden Offiziere in Sandhurst vermuteten, dass ein 13-jähriges Dienstverhältnis wie in Deutschland das Risiko erhöhe, Offiziere in der Armee zu haben, die keine Freude mehr an ihrem Beruf hätten. Dieser Kritik stellten die deutschen Offizieranwärter das Argument entgegen, dass Führungskompetenz nur durch jahrelange Erfahrung im Beruf erworben werden könne. „Ich glaube nicht, dass ein Offizier Anfang zwanzig nach nur anderthalb Jahren Training [wie in Großbritannien] in der Truppe überhaupt ernst genommen werden würde“, mutmaßte einer der angehenden deutschen Offiziere.

Nichtsdestotrotz befürwortete ein Großteil der deutschen Offizieranwärter die Variante eines verkürzten Offizierdienstes, ähnlich dem der Reserveoffiziere, als mögliche Zusatzoption zu den bestehenden Regularien in Deutschland, um so die Qualität des deutschen Offiziernachwuchses nachhaltig verbessern zu können: Durch die kurze Verpflichtungsdauer in Großbritannien, so das einschlägige Argument der Briten, wirke die Offizierlaufbahn dort auch attraktiver für junge Männer und Frauen, die die Armee sonst nicht als Berufsoption in Betracht gezogen hätten.

„Ambitionierte, talentierte und hochmotivierte Menschen, die vorrangig in die Politik, ins Finanzwesen oder in die Wirtschaft wollen, sind vielleicht bereit, vier Jahre ihrem Land zu dienen und so Führungserfahrungen zu sammeln – sie für 13 Jahre an die Armee zu binden, wie es in Deutschland der Fall ist, erhöht das Risiko, dass sie erst gar kein Interesse an einer Anstellung beim Militär haben“, vermutete ein britischer Offizieranwärter. Ein anderer ergänzte: „Wenn Eton- und Oxford-Absolventen die Hallen in Sandhurst füllen, trägt das automatisch dazu bei, dass sich alle als Teil einer elitären Gruppe empfinden – und natürlich steigert das parallel auch das Ansehen des Offizierberufs innerhalb der Gesellschaft.“

Während sich einige der Soldaten in Sandhurst ebenfalls ein in die Ausbildung integriertes Studium wie in Deutschland wünschten, sprach sich der Großteil der interviewten Soldaten gegen eine solche Option aus: „Ich halte ein ziviles Studium vor der Offizierausbildung für die bessere Variante. Ein militärischer Führer braucht Erfahrungen im zivilen Bereich, um im militärischen Bereich allumfassend handeln zu können. Direkt nach der Schule zur Armee zu gehen… das empfinde ich als Indoktrination“, kritisierte ein britischer Soldat das in Deutschland bestehende Ausbildungssystem für die Offiziere, die sich für 13 Jahre verpflichten. Ein deutscher Offizieranwärter stellte dem entgegen, dass das finanzierte Studium ein guter Anreiz sei, sich für die Bundeswehr zu entscheiden: „Die lange Verpflichtungszeit von 13 Jahren ist sinnvoll für die Bundeswehr, da sie sehr viel Zeit und Geld in die Ausbildung der Offizieranwärter investiert. […] Nach 13 Jahren habe ich einen Master […], jahrelange Erfahrung mich in Hierarchien einzuordnen und Verantwortung für Personal und Material zu übernehmen – und das sehr wahrscheinlich auch in Extremsituationen. Dann bin ich auch in einem Alter, in dem man mich für höhere Posten in Unternehmen schon ins Gespräch bringen kann. Nach zweieinhalb Jahren [Staatsdienst wie in Großbritannien] hat man weder viel Führungserfahrung, noch hat man den Beruf in all seinen Facetten kennengelernt. […] Man kann also beides nicht wirklich.“

In Sandhurst äußerte keiner der Soldaten Kritik an der so genannten short commission. Im Gegenteil: Eine überragende Mehrheit der Briten meinte, dass es positiv im Lebenslauf auffalle, Sandhurst durchlaufen und als Offizier gedient zu haben – selbst wenn nur für zweieinhalb Jahre. „Man hat Führungserfahrung. Das fällt vielen Unternehmen später positiv auf. Außerdem gibt es viele ehemalige Offiziere in wichtigen gesellschaftlichen Positionen in Großbritannien: Teil der Offiziergemeinschaft zu werden ist demnach ein cleverer Schachzug fürs Leben.“

Deutsche Offizieranwärter verbuchten die lange Jobsicherheit und die Integration des bezahlten Studiums als zwei der attraktivsten Facetten des deutschen Ausbildungssystems. Ähnlich wie ihre britischen Kameraden gingen die deutschen Offizieranwärter davon aus, dass sich ihre Erfahrungen in der Bundeswehr später positiv auf ihre Jobsuche auf dem zivilen Arbeitsmarkt auswirken könnten. Kritik äußerten die deutschen Soldaten jedoch hinsichtlich des Mangels militärischer Ausbildungsinhalte während der Studienzeit an den Universitäten in Hamburg und München. Darüber hinaus befürchteten insbesondere die Offizieranwärter, die sich für Natur- und Ingenieurswissenschaften eingeschrieben hatten, dass ihr Studienwissen zum Zeitpunkt ihres Laufbahnendes bereits überholt sei.

Die Frage, ob sich die angehenden britischen Offiziere auch für 13 Jahre verpflichtet hätten, wurde von einer großen Mehrheit verneint: Trotzdem empfanden viele britische Soldaten die lange Berufssicherheit in der deutschen Armee als attraktiv und lobten die Entschlossenheit ihrer deutschenKameraden, sich direkt für 13 Jahre zu verpflichten. „Sie müssen sich schon echt sicher sein, dass sie diesen Beruf wirklich machen wollen“, kommentierte ein Brite das deutsche Ausbildungssystem, und ein anderer ergänzte: „Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass viele der Soldaten in Sandhurst, die schon vorher Soldaten waren und sich aus der Feldwebellaufbahn hochgekämpft haben, auch versuchen werden, ihr Leben lang als Offizier in der Armee zu bleiben – aber für den Rest gilt eine klare Trennlinie zwischen denen, die wirklich nur vier Jahre bleiben werden, und denen, die diese Entscheidung erst nach vier Jahren treffen, wenn sie einschätzen können, ob dies eine Karriere ist, die sie längerfristig verfolgen wollen.“

 

Truppenspezifische Planung

Anders als in Deutschland erfolgt die truppenspezifische Zuteilung der meisten britischen Offizieranwärter erst, nachdem sie bereits die Hälfte ihrer Ausbildung in Sandhurst absolviert haben. Nur wenige Briten sind so genannte confirmed cadets und wissen bereits zu Beginn ihrer Ausbildung, in welchem Regiment sie später dienen werden.

Die truppenspezifische Einteilung der angehenden britischen Offiziere erfolgt auf drei Grundlagen: (1.) Der Angabe von zwei potenziellen Wunschtruppengattungen des Soldaten, (2.) einer detaillierten Auswertung der Stärken und Schwächen des jeweiligen Offizieranwärters durch seinen Ausbilder in Sandhurst nach knapp drei Monaten Training sowie (3.) einem persönlichen Vorstellungsgespräch bei Vertretern der Wunschregimenter des Soldaten. „Das erhöht den Motivationspegel aller hier“, erklärte einer der britischen Soldaten, „denn alle wollen zeigen, was sie können, um ihr Wunschregiment so davon überzeugen zu können, dass sie der richtige Kandidat sind. Das erhöht nicht nur die Konkurrenz unter den Soldaten, sondern auch ihren Ehrgeiz.“

Eine Truppenzuteilung vor Beginn der Ausbildung wie in Deutschland empfand der Großteil der Briten als falsch: „Was, wenn sich herausstellt, dass jemand in der ihm zugeteilten Rolle wirklich nicht gut ist? Wenn einem Truppenwechsel nicht stattgegeben wird und er seiner Aufgabe einfach nicht gerecht wird, bringt das niemandem etwas – weder ihm noch der Armee. Ich bin froh, dass ich mich nicht sofort entscheiden musste: Ich hätte eine Fehlwahl getroffen.“

Nicht nur die britischen, sondern auch die deutschen Offizieranwärter bewerteten das wettbewerbsorientierte Vorgehen in Bezug auf die Einteilung der Soldaten in unterschiedliche Truppengattungen als uneingeschränkt positiv: „Die Fähigkeiten, Neigungen und Präferenzen eines Soldaten können viel besser eingeschätzt werden, wenn man schon ein paar Erfahrungen in der Truppe gesammelt hat – ich halte dieses Vorgehen auf jeden Fall für sinnvoll“, erklärte ein deutscher Soldat, verwies jedoch auch auf die Problematik von Planung und Bedarf.

 

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